Sonay in Moabit bringt Alte und Junge zusammen
Sonay in Moabit bringt Alte und Junge zusammen
von Gerald Backhaus
Es ist ein sonniger Tag im Vorfrühling, so dass wir draußen Fotos machen können. Das Büro von Sonay befindet sich in der Lehrter Straße 38. Ich bin verabredet mit Lilly Roß und Jonas Deußer. Jonas ist der Gründer und Leiter des Vereins Sonay soziales Leben e.V. Lilly ist hier als Projektleiterin und Digital-Coach tätig. Das Büro in Moabit hat Sonay seit Januar 2024 gemietet. Vorher hatte der 2022 in Lichtenberg gegründete Verein dort seine Basis und arbeitete zeitweise auch von Coworking-Büros aus. Als er schnell auf fünf Mitarbeiter anwuchs, wurde ein größeres Büro gesucht und in der Lehrter Straße gefunden. „Moabit fühlt sich kleinstädtisch an“, findet Lilly und meint das als Kompliment. Jonas pflichtet ihr bei. Der Hesse stammt aus einem Dorf in der Nähe von Limburg an der Lahn. Dort war er seit seinem 14. Lebensjahr ehrenamtlich tätig, u.a. in der Jugendarbeit. Bereits als 16-jähriger wurde er zum Jugendleiter bei der evangelischen Kirche Friedberg. Damals ging es dort u.a. um Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Kirche, aber auch darum, Jugendlichen die Vielfalt der Natur im Wald konkret erfahrbar zu machen. Von Beruf ist Jonas Industriemechaniker und studierte nach dieser Lehre Sozialpädagogik. Auf die Frage nach seinem Impuls zur Gründung von Sonay berichtet der 31-jährige von seinem Großvater, der Bauer war und mit 75 Jahren plötzlich einen Schlaganfall erlitt. Fortan konnte er nicht mehr laufen und saß im Rollstuhl. Die Folgen stürzten Jonas’ Opa in eine Identitätskrise: ihn, einen Mann, der sein ganzes Leben lang in der Landwirtschaft tätig gewesen war und das nun nicht mehr konnte. Jonas erinnert sich: „Ich dachte damals, wie toll es wäre, wenn Opa vom Rollstuhl aus Jugendlichen beibringen könnte, wie man Kartoffeln legt.“ Gesagt getan, von seinem Ersparten gründete er Sonay mit dem Ziel, ältere und junge Menschen zusammenzubringen. Mittlerweile konnte er von seinem Konzept 10 Stiftungen überzeugen und als Förderer für Sonay-Projekte ins Boot holen. Darunter sind so namhafte wie die Deutsche Fernsehlotterie.
Sich gegenseitig helfen und voneinander lernen - die Vision von Jonas und seinem Verein ist eine Gesellschaft, in der die Erfahrungen von Menschen im Ruhestand und Jugendlichen genutzt und gefördert werden und in der beide Altersgruppen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. In Berlin leben rund 300.000 Menschen über 65 allein in einem Haushalt. Bei Sonay finden viele von ihnen einen Ort, an dem sie nicht einsam sind, sondern gebraucht werden. Sie können ihre Erfahrungen und ihr Wissen an Jugendliche weitergeben, z.B. indem sie den jungen Leuten ihren früheren Beruf zeigen. „Es gibt 16-jährige, die noch nie im Leben einen Schraubenzieher in der Hand hatten,“ erzählt Jonas. Hier setzt Sonay mit den „Schnuppertagen Handwerk“ an. Das sind vierstündige Kurse in Schulen. Dazu kommen Menschen im Seniorenalter in die Klasse und zeigen ihr Können in Bereichen wie Elektro- und Metallhandwerk, Töpfern oder Kochen. Dies geschieht nicht in Form eines Vortrags, sondern interaktiv. Die Jugendlichen legen also selbst mit Hand an und stellen z.B. einen Schlüsselanhänger aus Metall her. Oder sie bereiten zusammen ein Essen zu, das im Anschluss gemeinsam verzehrt wird. Handwerkliche Tätigkeiten gehen unabhängig von den vorhandenen Werkzeugen in der Schule, denn Sonay wurde erfinderisch und verfolgt ein mobiles Konzept: „Wir bringen 20 kleine Schraubstöcke mit, die an normalen Schultischen befestigt werden können.“ Geeignete Experten im Rentenalter findet Sonay u.a. über die Ehrenamtsplattform “Gute Tat”.
Digital-Coaches
Jonas’ Kollegin Lilly Roß stammt aus der Nähe von Köln. Sie hat in Berlin Soziale Arbeit studiert und arbeitet seit Ende 2023 für Sonay. Sie berichtet, wie der Verein an die Jugendlichen herankommt. Zu Beginn versendete Sonay Anschreiben an alle Berliner Schulen sowie an Jugendclubs und Eltern. Inzwischen hat sich ein Pool von rund 30 Personen entwickelt. Das sind junge Leute im Alter zwischen 14 und 27 Jahren, die ehrenamtlich bei Sonay als Digital-Coaches mitarbeiten. Bevor man Coach wird, gibt es eine Schulung, denn welcher 15-jährige kann sich genau vorstellen, was für eine Frau im Alter seiner Oma wichtig ist? Auf über 25 Stunden verteilt, lernen die Jugendlichen die Lebenswelt von älteren Menschen kennen. Zudem schauen sie sich die Standorte an, an denen das Coaching stattfindet. Das sind z.B. Bibliotheken. Dort finden sich bei den „Digitalen Sprechstunden“ in der Regel rund 10 Frauen und Männer im Seniorenalter zusammen, die von zwei jungen Coaches betreut werden. Mit dabei ist auch eine Begleiterin vom Trägerverein Sonay. Worum es den älteren Herrschaften dort vor allem geht? Viele Fragen drehen sich darum, wie man sein Handy oder den Laptop leichter bedienen und Anwendungen wie WhatsApp geschickter nutzen kann. Wie lade ich eine PDF herunter? Lassen sich meine Fotos auf dem Smartphone auch in Fotoalben sortieren? Fragen wie diese lassen sich am besten vor Ort zusammen mit den jungen Digital-Coaches klären.
Digitale Sprechstunden finden jeden Dienstag im Sonay-Büro in der Lehrter Straße 38 von 16 bis 17.30 Uhr statt. Weitere Termine im Bezirk Mitte gibt es z.B. in der Hansabibliothek (immer mittwochs von 16 bis 17.30 Uhr) Mehr zu den kostenlosen Digital-Kursen für ältere Menschen und Anmeldung unter lilly.ross@sonaysozialesleben.de
Ob ein „Erzählsalon“, eine Wander-App oder das Vorhaben, im Alter endlich mal eine handwerkliche Tätigkeit zu erlernen - bei dem Projekt "Alter! Was jetzt!?“, gefördert von BildungsChancen, entwickeln alte und junge Menschen gemeinsam ein Herzensprojekt. Von April bis Dezember 2024 wird dieses gut angenommene Format nun fortgeführt unter dem Namen „Engagementwerkstatt 60+“: Wer mitmachen will, kann sich bei Sonay melden per E-Mail an info@sonaysozialesleben.de Ab Mitte April finden ein Mal im Monat Treffen in der Lehrter Straße 38 statt.
WG aus Alt und Jung: Zwei Generationen, ein Zuhause
Ein weiteres Projekt ist die „Generationen WG Berlin“. Sonay hilft jungen Erwachsenen und Menschen ab 60 Jahre dabei, gemeinsam unter einem Dach zu wohnen. Das funktioniert so ähnlich wie bei einem Dating-Portal, erklärt Jonas. Dabei durchlaufen die Interessierten - ob Studentin oder Rentner - einen sogenannten „Matching-Prozess“, bei dem geschaut wird, wer zu wem passt. Sonay begleitet das anschließende Kennenlernen der potentiellen Mitbewohner. Passt es und springt bei denen der Funke über, werden sie bei rechtlichen Fragen und dem Einzug unterstützt. Auch in der Zeit danach wird die WG aus Alt und Jung weiterhin von Sonay unterstützt. Bei dem WG-Projekt, das von der Deutschen Fernsehlotterie gefördert wird, geht es um mehr als das Teilen von Wohnraum: In einer gemeinsamen Wohnung unterstützen sich Jung und Alt im Alltag, lernen voneinander und schaffen so ein echtes Miteinander. Mehr zur Generationen-WG auf https://www.generationen-wg-berlin.de/ Telefonische Sprechzeiten unter (ß39 844 269 23 von Montag bis Donnerstag jeweils von 10 bis 14 Uhr
Wer noch mehr erfahren möchte: In dem bislang fünfteiligen Podcast „Digitales Erbe“ von Sonay unterhalten sich Alt und Jung über Themen wie Liebe, Liebeskummer und Feminismus. Er ist auf der Platform Spotify unter „Digitales Erbe“ zu finden: https://open.spotify.com/show/1Jig7yzywEyAKzdWcgeBAa?si=70979300fef44001
Und die Arbeit von Sonay hat auch eine politische Komponente, erklärt Jonas. Auf dem eigenen YouTube-Kanal von Sonay interviewt Jasper (16) die 94-jährige Ruth von „Omas gegen Rechts“ in einem Zeitzeugeninterview: https://www.youtube.com/watch?v=9EvKdhaivkY
Kontakt: Sonay soziales Leben e.V., Lehrter Straße 38, 10557 Berlin, Tel. (030) 844 269 23, www.sonaysozialesleben.de
Text & Interviewfotos: © Gerald Backhaus 2025, die Fotos stammen von Sonay