„Jenseits von Birkenstraße“ mit Nimrod Baratz 

Von der Zeichengruppe "Malen und zeichnen im jenseits“ bis zu deutsch-israelischen Kulturunterschieden

von Gerald Backhaus

Nimrod Baratz arbeitet gerade am Laptop. Er hatte nur einen kurzen Weg zum Interview, dass im Ladenlokal des Jenseits von Birkenstraße e.V., kurz JVB, stattfindet, denn er wohnt mit seiner Familie oben im Haus in der Turmstraße 10. „Wohnte“ muss man fast sagen, jedenfalls wenn dieser Text erscheint, denn sein Umzug aus diesem Haus steht an. Doch erst einmal dazu, was bisher geschah. Nimrod kam 2016 von Israel nach Deutschland. Er hat deutsche Vorfahren, seine Großeltern sind 1939 aus Berlin geflohen. Nimrod lernte die deutsche Sprache aber erst hier, denn für seine Eltern in Israel war ihre deutsche Herkunft früher mit Scham besetzt. 

Jüdische Studien und eine Muslimisch-Jüdischen Werkstatt

Er schrieb sich für jüdische Studien an der Universität Potsdam ein, macht dort seinen Masterabschluss und widmete sich dann freiberuflich der Dialogarbeit in Vereinen. Einer davon ist der Verein „Jung, Muslimisch, Aktiv“, kurz JUMA e.V., mit seiner Muslimisch-Jüdischen Werkstatt. Dieses Projekt mit Angeboten im Bereich Kunst, Film und Literatur wurde bis 2022 vom Berliner Senat finanziell unterstützt und gab „jungen alternativen Stimmen freien Raum, um sich mit dem gemeinsamen Kulturerbe zu beschäftigen“. Vieles davon fand im JVB-Ladenlokal statt, auch eine Diskussionsreihe zu philosophischen Themen wie den Werken des Religionsphilosophen Martin Buber.

"Malen und zeichnen im jenseits“

Seit Ende 2022 beherbergt der JVB e.V. mit der JVB-Zeichengruppe ein gemeinnütziges soziales und interkulturelles Kunst- und Begegnungsangebot, das vom QM Moabit-Ost gefördert wird. Gemeinsam kreativ sein: Nimrod entwickelte das Konzept dafür und leitete die wöchentlichen Gruppentreffen bis Ende 2024. Im ersten Jahr geschah das im Wechsel mit dem Künstler Lukas Rosen (https://lukasrosenstudio.com/paintings). Seit 2025 wird die Gruppe von der Künstlerin Annika Dickel geleitet. In der niedrigschwellig angelegten Zeichengruppe sind alle, die mögen, willkommen, egal mit welchem kulturellen Hintergrund und ob sie „hyperrealistisch zeichnen können oder noch nie einen Stift in der Hand hatten.“ Ziel der Zeichengruppe ist es, den sozialen Zusammenhalt im Stadtteil zu fördern. Dies geschieht in Form einer Mischung aus Zeichenkurs und gemütlichem Beisammensein bei Tee und Keksen. 

Spannende Kiez-Begegnungen und Ausstellen beim “Ortstermin”

Durch mehrsprachige Werbung und direkten Kontakt mit Vereinen und Initiativen im Viertel werden Kiez-Anwohner mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund willkommen geheißen und spannende Begegnungen ermöglicht. Manchmal kommen sechs bis acht Leute. Die größte Teilnehmerzahl war mal 15, erinnert sich Nimrod. Natürlich gibt es ein Sommerloch, und in der Adventszeit kommen weniger. 2023 hat sich die Zeichengruppe mit einer großen Ausstellung am Moabiter Kunstfestival „Ortstermin“ beteiligt. 2024 klappte das leider nicht, weil die Räumlichkeiten schon von anderen Künstlern zu diesem Termin als Ausstellungsfläche gebucht worden waren. Vielleicht wird es 2025 wieder was?

Von Kunstgruppen bis Qi Gong und Seminaren

Unter dem Dach des JVB e.V. finden vielfältige Aktivitäten in dem rund 56 Quadratmeter großen „klassischen Kiezraum“ inklusive Küche und WC im Erdgeschoss der Turmstraße 10 statt. Die Palette reicht von Töpfern und einer Kunstgruppe von Rentnern über einen Qi-Gong-Kurs für Kinder und die halb-öffentlichen Filmabende einer Freundesgruppe bis hin zu Seminaren, Mietertreffen und Lesungen. Vor allem von privaten und gemeinnützigen Gruppen werden die Räume genutzt, aber auch zum gemeinsamen Co-Working. Manches davon findet regelmäßig statt, manches regelmäßig. Laut Vereinssatzung möchte man gemeinnützige Kulturförderung betreiben. Das bedeutet, dass kleine Initiativen unterstützt werden, aber auch private Nutzungen für Seminare, Treffen oder Geburtstagsfeiern sind gegen eine Tagesmiete möglich.

Aus einem Freundeskreis wurde ein Kulturverein

Bei seiner Gründung im Jahr 2018 bestand der JVB zunächst aus einem Freundeskreis von Menschen, die alle zusammen in dem Haus wohnten. „Wir wollten den Kiez beleben, so war die Gründungsidee des Vereins.“ Auch Nimrods jetzige Frau wirkte schon lange im Verein mit. Wie bei ihnen änderten sich auch bei anderen der rund 15 Vereinsmitglieder die Lebensumstände in den letzten Jahren gewaltig. Waren sie zu Beginn vorwiegend Studenten, sind die meisten Mitglieder jetzt zwischen 30 und 40 Jahre alt, arbeiten z.B. als Lehrerinnen, Wissenschaftler und Ingenieure in Vollzeit und haben Kinder bekommen.

Vom Umzug nach Leipzig und dem Kontakt zum JVB

Nimrod war bis vor kurzem Kassenwart des JVBs und leitete die kulturellen Programme. Ehrenamtlich, so wie alle anderen Vereinsmitglieder auch. Ihm fällt es sehr schwer, seine Arbeit mit der von ihm maßgeblich mit initiierten Zeichengruppe bald aufzugeben. Das hat mehrere Gründe. Vor kurzem ist Nimrod zum zweiten Mal Vater geworden. Er promoviert in Leipzig, und wird mit seiner Familie die Wohnung, das Haus und Berlin bald verlassen. Er pendelte schon seit zwei Jahren nach Leipzig, weil er dort eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität hat. Inzwischen wurde die Wohnung in Moabit für die vierköpfige Familie zu klein und eine andere bezahlbare war in Berlin nicht zu finden. Die Verbindung zu Berlin und dem JVB wird natürlich nicht abreißen, denn man kann in weniger als zwei Stunden von Leipzig aus per Zug oder Auto herkommen. 

„Auf der Linie“ zwischen Deutschland und Israel

Mit dem Unterwegs-Sein kennt sich Nimrod aus. „Auf der Linie“ zwischen Deutschland und Israel war er in seiner Anfangszeit in Berlin viel. Vor dem Corona-Einschnitt 2020 saß er mehrmals pro Jahr im Flieger nach Tel Aviv. „Damals war ich mit einem Bein hier und mit dem anderen Bein dort,“ erinnert er sich. Ein Wanderer zwischen den unterschiedlichen Kulturen. Was er hier in Deutschland vermisst? Neben seiner Familie und den Freunden in Israel nennt er das Wetter, das Essen, das Meer und die direkte Art der Israelis. Sie können unhöflich, aber auch lieb sein, findet er. Küsst sich in Israel ein Paar in der Öffentlichkeit, dann gibt es sofort Kommentare, während in Deutschland eher weggesehen wird. Und wie man in Deutschland manchmal ungefragt korrigiert wird, das ginge in Israel so nicht, ohne das man Ärger bekommt.

Danke an einen Akteur im Kiez! Für den neuen Lebensabschnitt in Leipzig wünschen wir Nimrod und seiner Familie alles Gute und freuen uns auf ein Wiedersehen in Moabit.

Wer Interesse an den Aktivitäten in den JVB-Räumen hat - aktuelle Informationen dazu gibt es in einem Rundbrief/Newsletter, für den man sich hier anmelden kann: https://mailchi.mp/29b67a7d1762/jvb

Zum öffentlich einsehbaren Nutzungskalender: https://teamup.com/ksy4uae7vprq3ib8ca - Nutzungsanfragen bitte per E-Mail an: wir@jvb-moabit.org

Kontakt: https://jvb-moabit.org

Text & Fotos beim Interview: © Gerald Backhaus 2025

Die Fotos der Malgruppe stammen von Nimrod Baratz/JVB.