Ein Leben zwischen Stadt und Land
Nicola Kluftinger über ihre Aktivitäten in Moabit, ganz Berlin und Falkensee
von Gerald Backhaus
Februar in Berlin: Minusgrade, Schnee, doch scheint die Sonne. Im Café Arema in der Birkenstraße sitzt Nicola Kluftinger. Die Mutter dreier Kinder hat Gummistiefel an, und zu ihren Füßen liegt Hündin Donna. Beide sind zum Interview vom Land in die Stadt hinein gekommen. Der vier Jahre alte Border Collie ist auch Nicolas Hütehund bei den Schafen. In Moabit kennen Nicola sehr viele Menschen durch ihre jahrelange Tätigkeit im pädagogischen Bereich für den Moabiter Ratschlag e.V. 2011 hatte sie von Bernd Brunner, dem heutigen Leiter des Otto-Spielplatzes, die Leitung für das außerschulische Programm im 8.000 Quadratmeter großen Schulgarten in der Birkenstraße übernommen. Im Schulgarten konnte man Nicola bis 2021 in den warmen Monaten fast täglich antreffen. Außerdem bei Gartenfesten, Flohmärkten sowie bei Veranstaltungen wie der Moabinale und den Tagen des offenen Gartens. Auch als Quartiersrätin von Moabit-West war sie ein paar Jahre lang in ihrer Freizeit für den Kiez aktiv.
Baumscheiben begrünen und mehr
Aktuell wirkt sie mit am Projekt „Quartier Moabit-Ost aktiv gegen Klimawandel", das im Oktober 2021 begann und zunächst bis Dezember 2024 lief. Das nun über zwei Jahre bis Ende 2026 in reduzierter Form verlängerte Projekt soll „wichtige Impulse hin zu einem klimafreundlichen und umweltgerechten Stadtteil geben" und wurde bis Ende 2024 durch das QM Moabit-Ost mit 80.000 Euro gefördert. Projektträger ist Thomas Büttner vom Prozessberatung-Büro in Potsdam. Nicola unterstützt ihn bei der Projektarbeit vor allem, wenn es um die Aktivierung der Nachbarn geht, um Baumscheiben zu begrünen. Erfolgreichstes Beispiel dafür ist die Baumscheibe vor dem Haus in der Birkenstraße 60. „Dort hat das gut geklappt. Da haben fünf Leute schon auf mich gewartet", erinnert sie sich. Zuvor hatte Nicola geeignete Orte in Moabit gesucht und Info-Blätter verteilt, in denen zum Mitmachen aufgerufen wurde. Das Projekt „Quartier Moabit-Ost aktiv gegen Klimawandel" unterstützte auch eine Initiative mit dem Ziel, in der Perleberger Straße „Tempo 30" einzuführen. Eine Veranstaltung zu Regentonnen lief gut, berichtet Nicola. Außerdem fanden in der Heilig-Geist-Kirche Antragspartys für Solar-Balkonkraftwerke statt. 2025 wird es vor allem um die Netzwerkarbeit gehen. Wo das Thema Klimaschutz nach Ende der Förderung 2026 am besten andocken kann? Nicola denkt da zum Beispiel an den Nachbarschaftsladen „Stephans".
Schäferin in der Großstadt
Die gebürtige Tübingerin, die als Architektin in Karlsruhe arbeitete, bevor sie 1994 nach Berlin zog, pendelt zwischen Moabit, wo sie nach wie vor ein Zimmer hat, und Falkensee, wo sie in einem Bauwagen wohnt. Dort leben auch ihre vier Shropshire-Schafe bei Wind und Wetter draußen. Wie sie zu den Schafen kam? Das ging los in der Corona-Zeit, erzählt Nicola. Damals war sie noch Leiterin des Schulgartens und konnte durch den Lockdown jedoch kaum etwas vor Ort machen. „Nicht mal im Garten durften wir arbeiten. Stattdessen sollten ich online mit den Kindern in Kontakt gehen." Für jemanden, der wie sie so gern draußen ist, war das sehr schwierig. 2020 lernte sie den Schäfer kennen, dessen Herde den Charlottenburger Schlossgarten beweidet. Sie begann damit, ihm auf ehrenamtlicher Basis zu helfen und lernte dabei immer mehr über die Schäferei. Der Mann hielt damals zwischen 300 und 400 Schafe. Es sind Guteschafe, die von der schwedischen Insel Gotland stammen. Von Mai bis September ist die große Herde über ganz Berlin verteilt. Durch Verträge mit Senat und Bezirksämtern wurden mehrere Beweidungsprojekte ermöglicht. Die 80 Tiere starke Schafherde im Schlossgarten hält sich dort etwa ein halbes Jahr lang über den Sommer auf. Nicola hilft immer zusammen mit Hütehund Donna beim Umweiden von einer Wiese zur nächsten. Das sei manchmal schwierig, weil viel Betrieb im Charlottenburger Park ist: Leute, die picknicken, schnelle Fahrradfahrer und Engstellen, wenn die Schafherde zum Beispiel über Brücken geführt werden muss. „Das ist herausfordernd. Deshalb machen wir das immer zu mehreren." Neben dem Schlossgarten wird auch im Wilmersdorfer Stadion zwei Mal im Jahr geweidet, und auf dem Dach der Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg grasen Guteschafe. Die vielen Tiere in ganz Berlin zu betreuen ist aufwendig. Der Schäfer und Nicola als eine seiner Helferinnen müssen alle Beweidungsorte täglich anfahren und dort die Schafe, die Zäune und das vorhandene Wasser kontrollieren. „Ich habe sehr viel gelernt in den fast fünf Jahren Schäferei", resümiert Nicola, und stellt fest: „Bis auf die Architektur haben bei mir alle Jobs mit dem ehrenamtlichen Einstieg angefangen." Durch die Arbeit mit den großen Schafherden auf den Geschmack gekommen, hat sie sich dann auch ihre eigenen Tiere angeschafft. Doch zunächst musste der Standort für ihren hölzernen Bauwagen auf einer landwirtschaftlichen Fläche in Falkensee gefunden werden. Den hat die Architektin selbst entworfen und zusammen mit einer Brandenburger Schreinerei gestaltet. Ihr Leben draußen auf dem Land beschreibt Nicola als ziemlich einfach. Strom durch die Solaranlage auf dem Dach ist nicht immer vorhanden, und Wasser holt sich Nicola in Kanistern von der Nachbarin. Ihre vier Shropshire-Schafe mit dem dicken Fell können immer draußen weiden, auch im Winter. Wenn sie einmal im Jahr geschoren werden müssen, bringt Nicola sie zu einer Schäferei in der Döbritzer Heide, weil nur bei größeren Herden eine Scher-Aktion wirtschaftlich ist. Dorthin kommt die professionelle Schafschererin Stefanie Kauschus. So heißt die amtierende deutsche Meisterin im „Woolhandling", wie das Sortieren von Wolle genannt wird. Sie schert da an drei Tagen um die 400 Schafe, rund drei bis vier Kilo pro Tier, erzählt Nicola. Manche verwenden die Wolle zur Bodendüngung. Nicola spinnt daraus, filzt ein wenig und verkauft Gefilztes auf dem Weihnachtsmarkt.
Schafwochen auf dem Ottospielplatz
Zwei Mal im Jahr leitet Nicola eine Schafwoche auf dem Ottospielplatz. Diese Aktivitäten, bei denen natürlich ihre vier Schafe und die Hündin Donna dabei sind, sind sehr beliebt. 2024 kamen über 200 Menschen, darunter vor allem Kinder. „Alle möchten an die Tiere ran, die Schafe berühren und riechen." Und der ukrainische Künstler Gleb Bas, mit dem Nicola früher schon im Schulgarten gearbeitet hatte, setzt das Thema Schafe mit seinen Mitteln um. Da werden Armbänder gefilzt und gefärbt und Kunst mit selbst hergestellten Schafwollpinseln gemacht, was den Kindern sehr viel Freude bereitet. 2025 soll vielleicht ein Tipi-artiges Zelt zusammen mit den Kindern gebaut werden.
Täglich sollte man nach Schafen sehen. Ist Nicola mal verreist, übernimmt das ihre Nachbarin. Apropos Verreisen: aktuell aktualisiert Nicola den Reiseführer „Mit dem Wohnmobil durch Nordpolen".
Kontakt zu Nicola Kluftinger: Tel. 0174 7765036, E-Mail: natuerlichschaf@yahoo.com, http://www.nicola-kluftinger.de
Reiseführer „Mit dem Wohnmobil durch Nordpolen": www.womo.de, kluftinger@womo.de
Mitmachen beim Projekt „Quartier Moabit-Ost aktiv gegen Klimawandel"? Am Mittwoch, 26. Februar 2025, findet um 16 Uhr ein Netzwerktreffen zum im Stadtteilladen in der Krefelder Straße 1a statt.
Web-Werkstatt für Neugierige mit Hanna Niedermeyer im Stephans am Freitag 28.2.25, von 17-20 Uhr und am Samstag 1.3. und Sonntag 2.3., jeweils von 9-17 Uhr - Kontakt zu Hanna Perla Niedermann: verwebte_ideen@hannaperla.com
Text & Interviewfotos: © Gerald Backhaus 2025, die Fotos mit Schafen stammen von Nicola Kluftinger