Was tun bei Einsamkeit?
Einsam? Muss nicht sein!
Das Projekt „Lonesome In-Betweens“ der StadtRand gGmbH wendet sich an einsame Menschen zwischen 20 und 40 Jahren
von Gerald Backhaus
Als 2018 in Großbritannien ein Ministerium für Einsamkeit eingerichtet wurde, fand das hierzulande nicht jeder gut. Viele rollten die Augen über die vermeintlich spinnerten Engländer. Doch leisteten sie damit Pionierarbeit, denn neun Millionen Menschen in Großbritannien gelten als einsam. So die Zahl von 2018. Als erstes Land weltweit wollte die britische Regierung durch ein Ministerium verschiedene Versuche koordinieren, um Menschen aus der Isolation und der Anonymität zu holen. Das Einsamkeitsministerium sollte auch dafür sorgen, dass die Regierung die Sache nicht noch schlimmer macht. Dafür stimmt es sich mit anderen Bereichen ab, damit das Thema in allen Ministerien eine Rolle spielt, vom Verkehrsministerium bis zum Gesundheitsministerium. Die Politik kann also dafür sorgen, dass sich das Thema herumspricht und Aufmerksamkeit bekommt. So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Das Bezirksamt von Reinickendorf führte 2024 als bundesweit erste Kommune eine Vollzeit-Einsamkeitsbeauftragte ein. Sie ist u.a. mit der Rahmen-Konzepterstellung gegen Einsamkeit betraut. Dies geschieht unter Berücksichtigung bereits vorhandener konzeptioneller Vorstellungen und Ansätze wie „80plus“ sowie deren fortlaufende Weiterentwicklung.
Ganz praktisch setzt das Projekt gegen Einsamkeit, das durch das Quartiersmanagement Moabit-Ost finanziert wird, an. Träger ist die StadtRand gemeinnützige Gesellschaft für integrierende soziale Arbeit mbH, kurz StadtRand gGmbH. Sie ist in Moabit durch ihre langjährige Arbeit in der Selbsthilfe- Kontakt- und Beratungsstelle (SHK) in der Perleberger Straße bekannt. Wir treffen uns zwar auch im Bezirk Mitte, allerdings mal nicht in Moabit, sondern auf der Fischerinsel. Kerstin Kunze von StadtRand, die das Projekt zusammen mit ihrer Kollegin Lisa Schunke durchführt, hat hier im malerisch an der Spree gelegenen Kreativhaus heute Sprechstunden. Zehn Stunden pro Woche betreut sie ein Projekt gegen Einsamkeit. Zunächst erklärt sie seinen englischen Titel: Mit „Lonesome In-Betweens“ („Einsame dazwischen“) sind Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren gemeint. Diese Zielgruppe soll besonders angesprochen werden, weil sie immer mehr von Einsamkeit betroffen ist. Das sei eine relativ neue Entwicklung, erklärt Kerstin Kunze. Galt lange Zeit die Gruppe der ältesten Menschen (75+) als vor allem von Einsamkeitsgefühlen betroffen, hat sich das seit der Corona-Pandemie gedreht. Damals nahmen Depressionen und soziale Ängste in der ganzen Bevölkerung stark zu. Nach Corona ist nun der Anteil der Einsamen bei der Altersgruppe der unter 30-jährigen am höchsten. Kerstin Kunze erklärt das anhand der speziellen Lebensthematiken, die im Alter zwischen 18 und etwa 35 Jahren vorherrschen. Kam jemand während der Pandemie zum Studium nach Berlin, dann hat er oder sie nicht wie die Vorgängerjahrgänge mit einem aufregenden Studentenleben von Hörsaal über Mensa bis Club begonnen, sondern verbrachte viel Zeit allein daheim am Bildschirm. Bei Gesprächen mit anderen Menschen vermissen die Jungen oftmals eine gewisse Tiefe und Verbindlichkeit. Auch Alleinerziehende, die zwar viel um die Ohren haben und dabei zahlreiche Menschen treffen, können sich trotz dieser vielen Kontakte durch die Kinder und andere Eltern einsam fühlen.
Einsam zu sein, stellt ein sehr komplexes Problem dar, mit dem sich jeder konfrontiert sehen kann - unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Es ist eine subjektive unangenehme Empfindung. Sie ist meist mit Scham verbunden, weil sie das Gefühl vermittelt, isoliert und ganz unten zu sein. Das Selbstwertgefühl leidet in hohem Maß. 11,3 Prozent in Deutschland fühlen sich laut Studien einsam, berichtet Kerstin Kunze. Und das betrifft jüngere Menschen stärker als ältere. Die Studienergebnisse zeigen außerdem, dass Frauen mehr als Männer von Einsamkeit betroffen sind. Menschen mit niedrigem Einkommen, Erwerbslose und auch Teilzeitarbeitende leiden häufiger unter Einsamkeit, außerdem Menschen mit Migrationshintergrund und pflegende Angehörige. Auch Biografisches wie bestimmte Verhaltensweisen oder Erlebnisse in der Kindheit können eine Rolle spielen. Die Folgen chronischer Einsamkeit reichen von einer geringeren Zufriedenheit mit dem eigenen Leben bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, zu Substanz- bzw. Drogenmissbrauch und zu Suizidgedanken. Viele Menschen tun sich sehr schwer damit, über ihre Einsamkeit zu reden.
Wie das Projekt von StadtRand da ansetzt? Seit März 2025 findet jeden dritten Donnerstag im Monat von 18 bis 20 Uhr ein offener Treff in der Perleberger Straße 44 statt. Dort sitzt man dann nicht in einem Stuhlkreis, sondern um einen Tisch herum, es gibt Knabbereien und Limo. Kerstin Kunze und ihre Kollegin versuchen, die Betroffenen, die sich einfinden, ins Gespräch zu bringen, damit sie sich untereinander austauschen. Einmal wurde dazu schon gemeinsam gekocht, und einen Abend mit einem Film über vier einsame Menschen gab es auch. Formiert sich eine Selbsthilfegruppe zum Thema Einsamkeit, dann möchte StadtRand diese auch nach dem Ende der Projektlaufzeit im Dezember 2025 weiter begleiten.
Ein zweiter Baustein des Projekts sind die Kieztouren, durch die Moabit-Ost unter der Leitung der StadtRand-Kolleginnen erkundet wird. Dabei geht es darum, hier gemeinsam vieles kennenzulernen, und zwar ohne Konsumzwang. Bei manchen Orten und Einrichtungen gibt es Berührungsängste wie „ist die nur für Kinder oder Senioren?“ Sowas wird durch diese Besuche abgebaut. Am 19. Juni 2025 fand der erste Rundgang statt. Die nächste Kieztour gibt es am 17. Juli 2025 um 18 Uhr, Treffpunkt ist die Perleberger Straße 44. Beim alljährlichen Perlenkiezfest am 5. September 2025 kann man Kerstin Kunze und Lisa Schunke an einem Stand kennenlernen.
Eine dritte Projektsäule ist die Aufklärung von Fachleuten und Personal über die stigmatisierte und schambesetzte Einsamkeit. In der Beratung zu anderen Dingen taucht das Thema oft am Rande mit auf. Damit es nicht übersehen wird, möchten Kerstin Kunze und Lisa Schunke dazu sensibilisieren. Die Einsamkeit direkt anzusprechen und offene Räume für Begegnungen zu schaffen, sind gute Schritte der Isolation zu begegnen. Kerstin Kunze, die in einem Dorf in Niedersachsen aufwuchs und im Jahr 2000 nach Berlin zog, studierte Soziale Arbeit in Görlitz. Bevor sie im Herbst 2024 zu Stadtrand kam, arbeitete sie 20 Jahre lang in der Suchthilfe beim Drogennotdienst. Die Mutter dreier Kinder berichtet von Skandinavien, wo es Cafés gibt, in denen es zwei Tassenfarben gibt. Diese signalisieren entweder „ich möchte meine Ruhe" oder „sprich mich gerne an". Das Konzept wird mit ausgehängten Hinweisen oder in der Speisekarte erklärt und die Menschen werden bei der Bestellung gefragt, welche Tassenfarbe sie wünschen.
Den Projektträger StadtRand gibt es seit 1995. Gesellschafter ist der Moabiter Ratschlag e.V. Seit 2001 befindet sich die Selbsthilfe- Kontakt- und Beratungsstelle (SHK) in der Perleberger Straße 44. Sie verfügt hier über die gesamte Erdgeschossfläche von rund 200 Quadratmetern. Neben fünf Gruppenräumen, einem Büro und einem Beratungsraum gibt es auch das Begegnungscafé für die Nachbarschaft (LouLou). In der SHK treffen sich Selbsthilfegruppen in der Regel ohne professionelle Anleitung, um sich gegenseitig zu unterstützen. Die drei Mitarbeiterinnen von StadtRand - neben den beiden erwähnten Frauen ist das auch Birgit Sowade - wirken im Hintergrund und bieten neben den Räumen den inhaltlichen und organisatorischen Rahmen. Sie informieren, beraten und sind dafür da, dass die Gruppen gut laufen können.
Wer hat Interesse an dem Projekt „Lonesome In-Betweens“ gegen Einsamkeit?
Offener Treff: jeden dritten Donnerstag im Monat von 18 bis 20 Uhr in der Perleberger Straße 44
Projekt-Sprechzeiten in der Perleberger Straße 44: Mo/Di 10-14 Uhr sowie Do 15-18 Uhr und nach Terminvereinbarung per Mail kontakt@stadtrand-berlin.de oder Tel. 030 - 3 94 63 64
Projekt-Sprechzeiten im Stadtteilzentum Kreativhaus, Fischerinsel 3, 10179 Berlin (in der ersten Etage): Do 10-12 Uhr, Mi 16-18 Uhr und nach Terminvereinbarung
Details und Kontakt zur SHK: Selbsthilfe- Kontakt- und Beratungsstelle Mitte, Perleberger Straße 44, 10559 Berlin, Telefon 030 - 3 94 63 64, E-Mail kontakt@stadtrand-berlin.de www.stadtrand-berlin.de Öffnungszeiten (in der Regel): Mo bis Mi 10 - 16 Uhr, Do 12 - 18 Uhr, Fr 9 -15 Uhr
Text & Interviewfotos: © Gerald Backhaus 2025, die anderen Fotos stammen von der StadtRand gGmbH