Jason McGlade in der Tür seines Ateliers
Der Fotograf und sein Werkzeug
Jason zeigt seine "Kiezfaces"...
Snip hörte beim Interview aufmerksam zu
Die Kabine, durch die man in die Dunkelkammer kommt
Zwei Ausgaben des Magazins "Freestyle"
Links das Fotobuch „Walking the Dog“ mit Jasons früherem Hund auf dem Titel
Snip vor einem Werk aus „Dead Flowers // New Faces“
...und nochmal die "Kiezfaces"

Ein kreativer Kopf im Kiez

Zum Atelierbesuch bei Jason McGlade

- von Gerald Backhaus -

Seine Serie aus großformatigen Porträtfotografien, die die Menschen aus der Nachbarschaft zeigen, nennt der gebürtige Engländer „Kiezfaces". Auf den großformatigen Bildern lacht niemand in die Kamera, was sowohl an seinem künstlerischen Konzept als auch an seiner Aufnahmemethode liegt. Da gibt es kein sekundenschnelles Lachen wie oft bei Selfies in die Handykamera zu beobachten ist, denn Jason McGlade fotografiert analog. Weil manche seiner jungen Porträtierten das Fotografieren aufgrund ihres Alters gar nicht anders als digital kennen, ist ihr Erstaunen groß, wenn er mit seiner alten Kamera vom Hersteller Linhof aus den 1930er Jahren loslegt. Dann hört er Fragen wie diese: „Warum gibt es hinten keinen Bildschirm, auf dem man sieht, was man fotografiert?“ Das Fotoprojekt „Kiezfaces“ hat Jason 2020 mit Unterstützung durch das Quartiersmanagement Moabit-Ost begonnen. Ausgestellt wurden seine Bilder zuerst in seinem Fenster zur Straße sowie in weiteren Schaufenstern im Kiez, darunter im Imbiss Birkeneck, der Garcia Kaffeebar, der Arminiusmarkthalle und im Café Tirree. Zum Konzept der Fotoserie gehört, dass die Menschen aus der Nachbarschaft vor den Bildern im Format 100 x 70 cm stehen bleiben und manche der Dargestellten erkennen, weil sie genau wie die Passanten ja auch hier leben. Ob der Florist Antonio aus der Birkenstraße, Hundetrainerin Melanie, ein Poet, ein Straßenmusiker, die Frau mit den fünf Hunden, Produktdesigner Jonas oder Friseur Remo - Jason fotografierte die Menschen nicht nur, sondern stellte ihnen dabei auch ein paar Fragen. Ihre Antworten auf „Wer willst Du als Tier sein?“ und „Was ist Deine Lieblingsfarbe?“ finden sich auf den Fotos. Apropos Farbe, die Werke sind in schwarz-weiß. Ehrensache, dass alle Porträtierten einen Druck mit sich selbst vom Künstler geschenkt bekommen.

Das selbst ausgebaute Studio

Unser Gespräch findet in Jasons Wohnatelier statt. Mit dabei ist sein Hund Snip, der es sich auf dem Sofa neben dem Interviewer bequem gemacht hat. Das Ladenlokal in der Salzwedeler Straße hat sich Jason zusammen mit seiner Ehefrau gekauft. Mit ihr, den zwei Kindern und Snip lebt er hier. Holzboden, Elektrik und Heizung - vieles in den unsaniert übernommenen Räumen hat Jason selbst gemacht, er stammt schließlich aus einer Bauarbeiterfamilie. Etwa ein Jahr dauerte es, bis sie einziehen konnten. Anne-Cathrin war zu der Zeit mit dem zweiten Kind schwanger, und er pendelte fast jeden Tag von der kleinen Wohnung in Kreuzberg zur Baustelle in Moabit. „Beim Handwerk sieht man ein Ergebnis, während das bei Kunst nicht immer so ist“, sagt er. Natürlich zeigt Jason gern seine Dunkelkammer im Kellergeschoss, wohin man über eine Holztreppe im Atelierraum gelangt. Neben der Linhof-Kamera macht dort vor allem eine Kabine Eindruck, durch die man die Dunkelkammer schnell mal verlassen und zurückkommen kann, ohne dass Licht hinein fällt.

Vom Magazin "Freestyle" bis zum Fotobuch „Walking the Dog“

Jason stammt aus dem Norden von England. Er studierte Dokumentarfotografie an der Newport University in Südwales sowie in Oliviero Toscanis Kreativlabor Fabrica im italienischen Treviso. Ende der neunziger Jahre machte er sich vor allem als Modefotograf einen Namen. Er entwarf Werbekampagnen für Marken wie Etro und Diesel und hatte Veröffentlichungen in Modemagazinen weltweit. Im Jahr 2000 zog Jason zum ersten Mal nach Berlin. 2009 brachte er hier ein eigenes Magazin namens „Freestyle“ heraus. Das zeigt er gern. Es ist rund, und die unkonventionell fotografierten Modestrecken sind eingebettet in eine Frisbee-Scheibe. „Viele dieser Bilder haben wir damals in einem Studio in der Siemensstraße aufgenommen“, erzählt Jason, der selbst auch gern Frisbee spielt, vor allem auf den riesigen Wiesen am Reichstag und der Schweizer Botschaft. Mittlerweile wurden die vier Ausgaben des Magazins zu begehrten Designobjekten. Er gestaltete „Freestyle“ zusammen mit Designern wie Eley Kishimoto, Paul Smith und Matthew Williamson. Ein paar Jahre später zeigte Jason seine Serie „The Glass House“, die er auf einem Scanner produziert hatte, in der Gruppenausstellung „Bling Bling Baby!“ im NRW-Forum. Und schon hält er bereits ein weiteres Werk in der Hand. Er zeigt sein Fotobuch „Walking the Dog“, das in der Reihe „Berlin Stories“ im Hatje Cantz Verlag erschienen ist. Roter Faden bei der Auswahl seiner Fotos für dieses Buch, die Jason mit dem Lebensgefühl in Berlin verband, war sein damaliger Hund Ozzy. Zu dieser Zeit hatte er ein ungewöhnliches Fotostudio in Prenzlauer Berg, und zwar in der Turnhalle der heutigen GSL-Sprachschule in der Kastanienallee. „Dort habe ich Objekte von unten durch eine Glasplatte fotografiert“, erinnert er sich. Nach fünf Jahren in England kehrte er zurück nach Berlin und landete 2019 schließlich mit Kind und Kegel in Moabit.

Tacheles-Fotoserie „Dead Flowers // New Faces“ 

Jason fotografiert überwiegend analog. Früher hatte er mit den Sofortbildern von Polaroid experimentiert, doch wurde das mit der Zeit immer schwieriger, vor allem seit Polaroid die Produktion der Filme eingestellt hatte. Danach kaufte er abgelaufene Filme und gestaltete Bilder, die durch Fehler, Schlieren und Lichteinfall nicht perfekt waren. In seiner Dunkelkammer erforscht der 48-jährige auch heute verschiedene fotografische Techniken und integriert handgemachte Elemente. Jason beschäftigt neben dem künstlerischen immer auch der praktische Prozess der Bildherstellung. Die Vergänglichkeit darzustellen gehört zu seinen liebsten Themen, weshalb er sich kürzlich verwelkenden Blumen widmete. Seine Fotoserie „Dead Flowers // New Faces“ - tote Blumensträuße und neue Gesichter auf Betonwänden - plante er für die neu entstehenden Lofts in dem Gebäudekomplex hinter dem Tacheles-Gelände an der Ecke Friedrichstraße / Oranienburger Straße. Dort wird gerade eine der letzten Brachen von Mitte bebaut. Doch wurden diese Bilder aufgrund der Corona-Einschränkungen zuerst im März 2022 in der „Gallery 46“ im Ostlondoner Stadtteil Whitechapel gezeigt. http://gallery46.co.uk Aus dem für Ausstellungen geeigneten Showroom im Tacheles-Komplex wurde inzwischen eine Baustelle, so dass aktuell noch unklar ist, ob und wie Jasons Bilder dort irgendwann gezeigt werden können.

Fotokurse und ein neuer Kulturraum im Kiez

Im ersten Corona-Lockdown 2020 verlegte er sich auf das Fotografieren von Stilleben in seinem Fotostudio. Jason hatte in dieser Zeit kaum Kontakte zu anderen Menschen, und das vermisste er sehr. Nach den Lockerungen wollte er unbedingt wieder Leute treffen. So kam er auf die Idee mit den Gesichtern aus der Nachbarschaft, seinen „Kiezfaces“. Um das Eis nach den Monaten der verordneten Isolation zu brechen, stellte er den Menschen, die er zum Fotografieren auf der Straße ansprach, die simplen Fragen, seine „baby questions“ wie er sie nennt. Die Reaktionen darauf waren überwiegend positiv. Nur selten war jemand skeptisch und wollte nicht von ihm porträtiert werden. Inzwischen hat Jason etwa 100 solcher Fotos angefertigt. Was die Gewerbetreibenden und ihre Schaufenster angeht, gestaltete sich die Situation anders. Ihm begegneten bei seinen Anfragen etliche Ladenbesitzer mit ablehnender Haltung. In Prenzlauer Berg, wo Jason früher sein Studio hatte, wäre es wohl etwas einfacher, Schaufenster für eine Fotoausstellung zu finden, vermutet er. Für seine mit Silbergelatine und Pinsel bearbeiteten Fotos sucht er daher weiterhin geeignete Ausstellungsmöglichkeiten. Es sollten Schaufenster sein, weil man damit mehr Menschen und auch ganz andere Leute als mit einer Ausstellung in einer Galerie erreichen kann. Nichtsdestotrotz wünscht sich Jason, alle seine „Kiezfaces“ in einer Ausstellung zu vereinen. 2022 möchte der Profi zudem Porträtfoto-Kurse für interessierte Laien geben. Platz in seiner Dunkelkammer haben bis zu sechs Leute. Jason möchte durch seine analoge Fotografie noch mehr Menschen in Moabit und darüber hinaus kennenlernen. Und sein Atelier stellt er sich in Zukunft zunehmend als einen neuen Kulturraum im Kiez vor, „als eine Art Tandem zusammen mit meiner Arbeit“.

Mehr zu „Kiezfaces“ und Kontakt zu Jason McGlade: www.jasonmcglade.com, Tel. (030) 60056382, 017666142956, eMail: info@jasonmcglade.com, Instagram: @jasonmcgladestudio@kiezfacesmoabit

Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022