Die KUFA in der Lehrter Straße...
...und Vorstand Stephen Wiesberger
Das helle luftige Büro in der ersten Etage
Die zwei neu eingesetzten Fenster von innen...
...und von außen
Stephen an seinem Schreibtisch
Der Außenbereich des KUFA-Cafés

Der wichtige Mann im Hintergrund

Bei Vorstand Stephen Wiesberger laufen alle Fäden in der Kulturfabrik zusammen

- von Gerald Backhaus -

KULTURFABRIK Lehrter Straße 35 e.V., Vorstandsbüro im ersten Stock. Fester Händedruck, und dann lässt Stephen Wiesberger zum Interview den mittleren seiner drei großen Flachbildschirme etwas herunter, damit ich sein Gesicht ganz sehen kann. Mit seiner praktischen und unkomplizierten Art, so denke ich, könnte der 50-jährige aus dem Osten stammen. Meine Vermutung stimmt nicht, denn er ist in Frankfurt am Main geboren, in Schleswig-Holstein aufgewachsen und hat lange in Hamburg gelebt, bevor er im Jahr 2000 nach Berlin kam. Er wohnt in Karlshorst und kommt von dort per Fahrrad nach Moabit zur Arbeit gedüst. Wie bitte? „In einer halben Stunde, das sind nur rund 11 Kilometer,“ so Stephen. Außerdem ist der leidenschaftliche Fußballer, der früher auch Fußballtrainer war, Stadionsprecher bei Lichtenberg 47.

Der wirtschaftliche und organisatorische Überblick

Nach Stephen würden sich andere soziokulturelle Träger sicher alle zehn Finger schlecken. Ob Café, Filmrauschpalast, Slaughterhouse, Fabriktheater oder die KUFA-Werkstatt „35 services“ nebenan - bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Denn was nützen viele tolle Ideen, wenn man sie nicht umsetzen kann, weil es an einer Person fehlt, die den Überblick auch in wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht behält und den Laden zusammen halten kann. Stephen ist nicht nur der Mann für die Finanzen und die Verwaltung. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit im KUFA-Vorstand seit 2014/15 hatte er sich das Ziel gesteckt, in der KUFA „alles auf normale Füße zu stellen.“ Damit meint er, eine normale Buchführung einzurichten und die IT-Infrastruktur auszubauen.

Wirtschaftsingeneur, Offizier, Erziehungswissenschaftler und IT-Berater

Dabei weiß er, wovon er spricht. Stephen ist von Beruf Wirtschaftsingenieur und hat zudem Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung studiert. Er war als Zeitsoldat Offizier bei der Bundeswehr und verfügt über viel Erfahrung auf dem Gebiet der Menschenführung. Im Rahmen seiner Ausbildung in Erziehungswissenschaften war er auch mal für ein halbes Jahr in einer Hamburger Brennpunktschule als Lehrer einer vierten Klasse tätig. Nach der Bundeswehrkarriere spielte er mit dem Gedanken, bei der Polizei einzusteigen, doch durchkreuzte kurz davor ein Stellenangebot aus Berlin diesen Plan. Stephen zog an die Spree und wurde Geschäftsführer einer IT-Firma. Als dieses Unternehmen in schwieriges Fahrwasser geriet, machte sich er sich als IT-Berater selbständig. Über eine Bekannte kam er 2006 zur KUFA, weil er Geschäftsräume suchte und in dem Gebäude vielleicht etwas anmieten wollte. Das führte zu der Vereinbarung, dass er sich als Fachmann für die IT des soziokulturellen Zentrums kümmert und im Gegenzug im Hause die Räume und Infrastruktur nutzen kann.

Moderne Rechner, LED-Beleuchtung und schnelles Internet in der KUFA

Und wie kam’s zum Vorstandsposten? „Ich war ja eh da“, sagt er bescheiden und rückt seine Baseballkappe zurecht, „kannte hier alles und war mit allen Leuten in gutem Kontakt.“ Inzwischen hat Stephen u.a. für moderne Rechner, die Ausstattung mit stromsparender LED-Beleuchtung und eine schnelle Internetverbindung in der KUFA gesorgt. Das war ein Abenteuer, schildert der Mann, der auf viele technischen Fragen Antworten weiß. Anschluss an das Glasfasernetz der Telekom vor der Haustür? „Utopisch“, winkt er ab, weil die Gebühren dafür das Budget der KUFA gesprengt hätten. Also suchte er eine Richtfunklösung mit Hilfe von Individual Network Berlin (IN-Berlin). Dieser Verein bietet Privatpersonen und Vereinen den Zugang zum Internet und weitere Dienste an und sitzt zufälligerweise schräg gegenüber in der Lehrter Straße.

Die Gebäudesanierung dauert länger als geplant

Apropos Budget, vor fast genau vier Jahren hatten wir über die KUFA und ihre Sanierungsvorhaben berichtet. Damals, im Sommer 2018, war die Rede davon, dass das Gebäude komplett „durchsaniert“ werden müsse, „denn bisher wird noch mit Kohleöfen geheizt und alles, was zum Beispiel an Sanitärtechnik vorhanden ist, haben die Vereine selbst angelegt.“ Damals wurde ein Bauvolumen von rund 6,8 Mio. Euro veranschlagt. Die Bautafel neben dem Gebäude steht noch, doch die Außenfassade strahlt inzwischen, ganz anders als vor vier Jahren. Und wie weit ist man in der KUFA im Sommer 2022 insgesamt mit der Sanierung? Stephen Wiesberger verdreht kurz die Augen und erklärt dann in aller Ruhe, dass mittlerweile von 9,7 Mio. Euro Baukosten ausgegangen wird. Dann erläutert er die drei Bauphasen im Einzelnen. Phase 1 beinhaltet die Grundsanierung, was in erster Linie die Gebäudehülle angeht. „Das Haus ist jetzt komplett dicht.“ Das bedeutet, dass das Dach inzwischen gemacht wurde, Entrauchungsklappen und eine Blitzschutzanlage installiert wurden, und dass fast alle Fenster erneuert sind. Und die Gerüste sind endlich verschwunden, weil die Fassade fertig ist. Ein Wanddurchbruch und eine große Terrasse als Außenbereich des KUFA-Cafés an der Seite des Gebäudes in Richtung Spielplatz wurden eingerichtet. Mit ihrem Kiesbelag und dem Bauzaun zur Abgrenzung stellt die Terrasse allerdings ein Proviorium dar, räumt Stephen ein. Hier eine dauerhafte Lösung zu schaffen, wäre zum aktuellen Zeitpunkt sinnlos, weil wegen kommender Bauarbeiten dort der Boden wieder aufgerissen wird. „Das Café ist unser Wirtschaftsbetrieb. Der Gewinn finanziert zusammen mit den Hausabgaben der einzelnen Vereine unsere Verwaltung“, so Stephen, auch wenn die KUFA in den ersten Monaten des Jahres 2022 beim Café etwas draufzahlen musste. Zu gering war da die Zahl der Gäste. Erst als es Sommer wurde, trauten sie sich wieder - fast wie früher - in Scharen her. Darunter sind auch immer mehr Zugezogene aus den zahlreichen Neubauten um die Ecke zu finden.

Über die drei Bauphasen 

Stephen hofft, dass die Grundsanierungsphase bald geschafft ist. Im Slaughterhouse-Club konnten die speziell angefertigten und daher teureren Lärmschutzfenster (Lärmschutzklasse 4!), die dem Denkmalschutz genügen müssen, bislang noch nicht eingebaut werden. „Die Mehrkosten für 25 Fenster brachten unseren Etat ganz schön ins Wanken.“ Erst wenn Phase 1 abgeschlossen ist, kann der Bauherr, die GSE gGmbH als treuhändischer Eigentümer in Vertretung des Landes Berlins, mit Phase 2 weitermachen. Dann ist die Haustechnik samt Heizung und Elektroleitungen dran. Doch dafür hapert es im Moment noch an der Finanzierung. Das Problem ist die Unterstützung mit Mitteln aus dem Programm „StadtUmBau West“ für die Rohbausanierung. Weil diese Gelder in sogenannten Jahresscheiben ausgereicht werden, ist das für Baumaßnahmen nicht sonderlich geeignet. Zu schlecht lassen sich Termine und Ausgaben auf dem Bau exakt planen. Das führte sogar dazu, dass die Gelder von "StadtUmBau West" nicht für die KUFA ausgeben werden konnten und stattdessen für ein anderes Projekt umgewidmet wurden, damit sie nicht verfallen. Sie gestaltete mit den eigentlich für die KUFA geplanten Mitteln den Skaterpark am Poststadion. Die Bauphase 3 - den Innenausbau - erledigt das KUFA-Team mit finanzieller Unterstützung der Lottostiftung dann selbst. Doch zuvor müssen die Phasen 1 und 2 durch sein. 

Im Filmrauschpalast-Kino konnte der Kino-Verein während der Corona-Schließung schon eine Lüftungsanlage einbauen und die Holzpaletten unter den Sitzmöbel durch Metallgestelle ersetzen. Seit Mai gibt es wieder jeden Abend Filmvorführungen, freitags und samstags auch als Freiluftvariante auf einer Leinwand im Garten der KUFA. 

In dem 1991 gegründeten „Underground Club“ Slaughterhouse gibt es laut Selbstaussage Konzerte in den Musikrichtungen „Indie, Punk, Ska, Hard- und Emocore, Alternative, Rock, (Nu-) Metal, X-over, Wave, Gothic, Pop, Hip Hop, Türkisch Pop & Soul“. Der Verein Slaughterhouse baute den KUFA-Keller als Konzert- und Partyraum aus und ergänzte Übungsräume für Bands sowie ein Tonstudio. Weil die obersten drei Etagen und die Kellerräume jedoch durch Auflagen der Bauaufsicht 1996 geschlossen wurden, betreibt der Slaughterhouse-Verein seit 2000 in Fusion mit dem Urknallteam aktuell nur das Erdgeschoss im Hinterhof der Kulturfabrik. 

Zum Fabriktheater erzählt Stephen, dass sich der Verein erst vor etwa zwei Jahren gründete und in Folge der Corona-Schließungen erst in diesem Jahr so richtig mit seiner Arbeit loslegen konnte. Das Theater hat mit einer speziellen Herausforderung zu kämpfen, und die hat mit dem benachbarten Filmrauschpalast zu tun, genauer gesagt mit einer dringend notwendigen Entkopplung von Theater und Kino. Momentan ist es noch so, dass ein Theaterstück nicht über die Bühne gehen kann, wenn nebenan gerade ein lauter Actionfilm gezeigt wird, erläutert Stephen. Und weil diese notwendige Entkoppelung erst in einer späteren Bauphase kommen kann, müssen sich Kino- und Theaterverein aktuell sehr gut über ihr jeweiliges Programm miteinander abstimmen. 

Die separat liegende Werkstatt „35 services“ (Details in unserem Bericht vom Februar 2022) arbeitet weiterhin an einer höheren Verlässlichkeit, d.h. dass sie ihre Öffnungszeiten ausgeweitet hat. Das kann u.a. durch eine neue Stelle auf 400-Euro-Basis gewährleistet werden, die durch Mittel aus dem Projekt NEUSTART - Programm finanziert wurde.

Beim traditionellen Sommerfest beteiligen sich immer alle Vereine. Im vergangenen Jahr musste es leider ausfallen, als eigentlich 30 Jahre KUFA gefeiert werden sollten. Bei der Sause Ende Mai 2022 „war hier überall was los“, da kamen insgesamt rund 2.500 Leute vorbei.

Chronische Unterfinanzierung und Behörden-Pingpong

Was Wünsche für die Zukunft der KUFA angeht, thematisiert Stephen das leidige Thema der chronischen Unterfinanzierung. Berlin sei das einzige Bundesland, in dem soziokulturelle Zentren leider gar keine Dauerfinanzierung erhalten. „Telefoniere ich mit Kollegen in Dresden, Heidelberg oder Bayern, können die unsere Lage hier nicht verstehen.“ Zwei Stellen bzw. zwei Festangestellte wären in der KUFA notwendig, „doch davon sind wir hier Lichtjahre entfernt“. Schuld sei das Behörden-Pingpong zwischen zwei Senatsverwaltungen, die sich beide nicht wirklich zuständig fühlen. Das bedeutet, dass der KULTURFABRIK Lehrter Straße 35 e.V. mit seinen rund 50 Mitgliedern lediglich Projektförderungen und keine strukturelle Förderung erhält. Das liegt u.a. auch daran, „dass wir sowohl in den Bereich der Kulturverwaltung als auch in den der Sozialverwaltung hinein fallen.“ Projektförderungen jedoch sind meist auf wenige Jahre Laufzeit begrenzt. Weil das Personal dafür nur auf Honorarbasis beschäftigt werden kann, fallen langfristige Planungen schwer, von Planungssicherheit für die Beschäftigten ganz zu schweigen. Doch davon lässt sich ein Typ wie Stephen nicht unterkriegen, genau wie bei den Baumaßnahmen. Wird schon!

Weitere Informationen zur KUFA, Programm, Termine und Kontakt: , Tel. (030) 397 50 56, https://kulturfabrik-moabit.de

Text & Fotos: © Gerald Backhaus 2022